Merkel spricht über ihr Leben als Christin
Ein Artikel aus der Berliner Zeitung von Holger Schmale
Lange Zeit hat die Kanzlerin wenig Persönliches über sich preisgegeben. Nun kehrt sie in ihre Heimatstadt Templin zurück und erzählt in der Kirche über ihren Glauben, ihre Zweifel und ihre Gebete.
Angela Merkel steht an einem Pult mit dem Rücken zum Altar, vier große Kerzen beleuchten den Gekreuzigten. Die Kanzlerin schaut in die voll besetzte Kirche und sagt: „Ich fühle mich an der falschen Stelle. Es wäre mir recht, jetzt auch in einer der Bänke zu sitzen und dem Pfarrer zuzuhören.“ Angela Merkel ist heimgekehrt an diesem Freitagabend, nach Templin in der Uckermark und in die Kirche, in der sie einst konfirmiert wurde. Es ist ein ungewöhnlicher Abend, und so empfindet sie es wohl auch.
Lange Zeit hat Angela Merkel darauf geachtet, nicht sehr erkennbar zu sein. Nicht als Ostdeutsche, nicht als Frau, nicht als Christin. Die Vorbehalte, ob sie dem Kanzleramt gewachsen sein würde, waren so groß, dass sie alles Persönliche, ihre Herkunft und Geschichte ausgeblendet hat und den Menschen lange als so etwas wie eine ideelle Gesamtdeutsche gegenübergetreten ist. Bis heute schirmt sie ihr Privatleben gegenüber der Öffentlichkeit vollkommen ab. Aber seit einiger Zeit ist sie dabei, ihr Bild zu runden. Jetzt erzählt sie manchmal über ihre Kindheit und Jugend in der DDR, hier in Templin. Sie kokettiert jetzt mit den Vorurteilen, denen sie anfangs in der westdeutsch geprägten Bundespolitik begegnet ist, als man sich in der Union über die „Zonenwachtel“ lustig gemacht hat.
Und nun steht sie in der Kirche, in der manchmal auch ihr Vater, der Pfarrer und Leiter eines theologischen Seminars in Templin, gepredigt hat. „Das ist Heimat“, sagt sie später auf eine Frage nach ihrem Gefühl an diesem Ort. Es ist Reformationstag, sie soll über das Thema „Christlich leben, politisch handeln“ sprechen. Und so gehört es zu diesem ungewöhnlichen Abend, dass sie über sich als Christin spricht, über ihren Glauben, den sie, wie sie sagt, ja nicht wie eine Monstranz vor sich her trägt. Wäre sie nicht die Vorsitzende der Partei mit dem C im Namen, wüsste man vielleicht gar nichts über ihr Bekenntnis. Sie empfinde das Christsein als „unglaublichen Schutz“, sagt Angela Merkel.
Sie könne in dem beruhigenden Bewusstsein leben, auch Fehler machen zu dürfen, denn sie wisse, dass sie nicht vollkommen sei. Zugleich bewahre sie der Glaube vor jeglichen Allmachtsphantasien und lehre Demut. Und ja, das stille Gebet, die Einkehr gehörten zu ihrem Leben wie die Freude, mit anderen das Vaterunser zu sprechen, sagt sie auf Fragen aus der Gemeinde nach ihrem Vortrag.
Etwa zwanzig Minuten hat sie zuvor über die Widersprüche geredet, die ihr als christliche Politikerin ständig begegneten. Sie verteidigt Waffenlieferungen, wenn es darum gehe, den Kurden im Kampf gegen islamistische Terroristen zu helfen und den Einsatz der Bundeswehr, wenn es darum gehe, Verbrechen zu verhindern wie in den 90er Jahren auf dem Balkan oder auch in Afghanistan. Aber sie spricht vor allem über Fragen, auf die sie auch keine letzte Antwort habe – wie umgehen mit der immer größeren Zahl von Flüchtlingen, für die man ein offenes Herz haben müsse, sie aber dennoch nicht alle aufnehmen könne? Wie entscheiden in der Debatte um die Sterbehilfe, wo sind die Grenzen, wo werden sie überschritten?
Es ist dieses Bekenntnis zum Zweifel, der ihr spürbar Sympathien der Zuhörer bringt, und das sich in der Sprache und der Botschaft sehr von dem unterscheidet, was man gewöhnlich von Politikern hört. Aber natürlich kann sie auch das, routiniert auf Fragen nach der Pflegereform, dem Freihandelsabkommen, den Kassenbeiträgen antworten. Dann ist sie wieder ganz die Politikerin. Am Ende dankt der Pfarrer ihr herzlich und entlässt die Versammelten mit den Worten: „Der Friede des Herrn sei mit Euch allen.“ Angela Merkel hat es dann nicht mehr weit. Ein paar Kilometer weiter steht ihr Wochenendhaus, dort will sie jetzt erst einmal etwas gegen ihre Erkältung tun.
Angela Merkel steht an einem Pult mit dem Rücken zum Altar, vier große Kerzen beleuchten den Gekreuzigten. Die Kanzlerin schaut in die voll besetzte Kirche und sagt: „Ich fühle mich an der falschen Stelle. Es wäre mir recht, jetzt auch in einer der Bänke zu sitzen und dem Pfarrer zuzuhören.“ Angela Merkel ist heimgekehrt an diesem Freitagabend, nach Templin in der Uckermark und in die Kirche, in der sie einst konfirmiert wurde. Es ist ein ungewöhnlicher Abend, und so empfindet sie es wohl auch.
Lange Zeit hat Angela Merkel darauf geachtet, nicht sehr erkennbar zu sein. Nicht als Ostdeutsche, nicht als Frau, nicht als Christin. Die Vorbehalte, ob sie dem Kanzleramt gewachsen sein würde, waren so groß, dass sie alles Persönliche, ihre Herkunft und Geschichte ausgeblendet hat und den Menschen lange als so etwas wie eine ideelle Gesamtdeutsche gegenübergetreten ist. Bis heute schirmt sie ihr Privatleben gegenüber der Öffentlichkeit vollkommen ab. Aber seit einiger Zeit ist sie dabei, ihr Bild zu runden. Jetzt erzählt sie manchmal über ihre Kindheit und Jugend in der DDR, hier in Templin. Sie kokettiert jetzt mit den Vorurteilen, denen sie anfangs in der westdeutsch geprägten Bundespolitik begegnet ist, als man sich in der Union über die „Zonenwachtel“ lustig gemacht hat.
Und nun steht sie in der Kirche, in der manchmal auch ihr Vater, der Pfarrer und Leiter eines theologischen Seminars in Templin, gepredigt hat. „Das ist Heimat“, sagt sie später auf eine Frage nach ihrem Gefühl an diesem Ort. Es ist Reformationstag, sie soll über das Thema „Christlich leben, politisch handeln“ sprechen. Und so gehört es zu diesem ungewöhnlichen Abend, dass sie über sich als Christin spricht, über ihren Glauben, den sie, wie sie sagt, ja nicht wie eine Monstranz vor sich her trägt. Wäre sie nicht die Vorsitzende der Partei mit dem C im Namen, wüsste man vielleicht gar nichts über ihr Bekenntnis. Sie empfinde das Christsein als „unglaublichen Schutz“, sagt Angela Merkel.
Sie könne in dem beruhigenden Bewusstsein leben, auch Fehler machen zu dürfen, denn sie wisse, dass sie nicht vollkommen sei. Zugleich bewahre sie der Glaube vor jeglichen Allmachtsphantasien und lehre Demut. Und ja, das stille Gebet, die Einkehr gehörten zu ihrem Leben wie die Freude, mit anderen das Vaterunser zu sprechen, sagt sie auf Fragen aus der Gemeinde nach ihrem Vortrag.
Etwa zwanzig Minuten hat sie zuvor über die Widersprüche geredet, die ihr als christliche Politikerin ständig begegneten. Sie verteidigt Waffenlieferungen, wenn es darum gehe, den Kurden im Kampf gegen islamistische Terroristen zu helfen und den Einsatz der Bundeswehr, wenn es darum gehe, Verbrechen zu verhindern wie in den 90er Jahren auf dem Balkan oder auch in Afghanistan. Aber sie spricht vor allem über Fragen, auf die sie auch keine letzte Antwort habe – wie umgehen mit der immer größeren Zahl von Flüchtlingen, für die man ein offenes Herz haben müsse, sie aber dennoch nicht alle aufnehmen könne? Wie entscheiden in der Debatte um die Sterbehilfe, wo sind die Grenzen, wo werden sie überschritten?
Es ist dieses Bekenntnis zum Zweifel, der ihr spürbar Sympathien der Zuhörer bringt, und das sich in der Sprache und der Botschaft sehr von dem unterscheidet, was man gewöhnlich von Politikern hört. Aber natürlich kann sie auch das, routiniert auf Fragen nach der Pflegereform, dem Freihandelsabkommen, den Kassenbeiträgen antworten. Dann ist sie wieder ganz die Politikerin. Am Ende dankt der Pfarrer ihr herzlich und entlässt die Versammelten mit den Worten: „Der Friede des Herrn sei mit Euch allen.“ Angela Merkel hat es dann nicht mehr weit. Ein paar Kilometer weiter steht ihr Wochenendhaus, dort will sie jetzt erst einmal etwas gegen ihre Erkältung tun.