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Pfarrer Felix Sens aus Leegebruch
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"Ja, die Schlupfwinkel des Landes sind Orte voller Gewalt." (Psalm 74, Vers 20)

Gedanken zum Wochenende mit Blick auf den Gedanktag an die Novemberpogrome vor 84 Jahren von Pfarrer Felix Sens aus Leegebruch | Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr | 06.11.2022

Nicht weit entfernt von unserer Kirche in Leegebruch liegt ein Parkplatz. Auf dem Einfahrtsschild hat sich ein besonderer Künstler verewigt. Mit schwarzem Filzstift und ein wenig krakelig steht da geschrieben: „NS-Zone“. Nicht dick aufgetragen, scheinbar in Eile und beiläufig, Bestand hat's trotzdem.

Dieser Parkplatz, dieser Ort ist markiert.

In der kommenden Woche jähren sich zum 84. Mal die antisemitischen Novemberpogrome. Zwischen dem 7. und dem 13. November 1938 wurden im gesamten damaligen Reichsgebiet Jüd*innen angegriffen, verletzt und ermordet.
Jüdische Geschäfte, Bethäuser und Synagogen in Brand gesteckt und zerstört.
Hunderte starben, Tausende wurde verhaftet und deportiert.

Lange wurden die Ereignisse in der Rückschau in den Begriff der „Reichskristallnacht“ gepfercht. Ein einmaliges Ereignis, so schien es, ein „kurzer“, ein orchestrierter Ausbruch des Hasses.
Erst spät gestanden wir uns die Vielfältigkeit der Gewalt ein, das Spontane und Lustvolle an der Zerstörung, das dem Höhepunkt in der Nacht vom 9. auf den 10.11. voranging, das ihm genauso folgte.

Kein Pogrom, kein Brandanschlag geschieht einfach so. Sie bauen auf auf ein Netz aus Alltäglichem, einem Fundament aus scheinbar Belanglosem. Beiläufig ausgesprochene oder schweigende Zustimmung.

Das Gedenken an die Opfer der Pogrome von 84 Jahren soll uns daher Anlass sein:
Wir wollen kräftig Widerworte sammeln.
Ganz beiläufig, nicht dick aufgetragen, aber von Bestand.

Ihr Felix Sens, Pfarrer in Leegebruch
veröffentlicht unter: Andachten 2022