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Wir dürfen Afrika nicht vergessen
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Wir dürfen Afrika nicht vergessen

Ein Artikel aus der Neuen Oranienburger Zeitung von Rolf Kaiser

Pfarrer Friedemann Humburg berichtet über seine Begegnungen mit Menschen der Region Binga, zu denen seit 19 Jahren eine Partnerschaft besteht

Oranienburg. Friedemann Humburg ist Pfarrer an der Oranienburger Nicolaikirche. Er hat gemeinsam mit anderen die Partnergemeinden im Distrikt Binga in Simbabwe auf dem afrikanischen Kontinent besucht. Diese Region, in dem das kleine Volk der Tonga lebt, zählt zu den ärmsten der Welt. Der Oranienburger Lions Club spendete vor der jüngsten Reise 600 Euro für drei Dörfer der Partnergemeinden des Kirchenkreises oberes Havelland für den Kauf dringend benötigter Lebensmittel.

<b>MAZ: Herr Humburg, seit 19 Jahren besteht die Besuchs- und Lernpartnerschaft zwischen dem evangelischen Kirchenkreis und den drei Dörfern mit einigen hundert Einwohnern der Tonga. Sie waren persönlich zweimal vor Ort. Was hat Sie zu diesem Engagement für diese Menschen veranlasst?</b>

Friedemann Humburg: Der Kirchenkreis Oberes Havelland ist Partner für die Dörfer der Region Binga. Über den Kirchenkreis habe ich hier Besucher aus der Region kennengelernt. Die freundliche humorvolle Art der Tonga hat mich neugierig gemacht, mir selbst vor Ort ein Bild über die Lebensumstände zu machen. Es war schon ein Abenteuer, sich auf drei Wochen einfaches Leben ohne Strom und fließendes Wasser einzulassen.
Der Kirchenkreis lädt regelmäßig Besucher aus der Region Binga nach Oranienburg ein, damit sie hier gemeinsamen geistlichen Erfahrungen und auch handwerkliche Fähigkeiten lernen können. In der Region Binga ist ein Fahrrad ein tolles Transportmittel, aber wenn es kaputt ist, kann es keiner reparieren. Daher lernen Besucher in einer Fahrradwerkstatt in Oranienburg, Räder instand zu setzen.

<b>Gibt es andere Beispiele für die Hilfe zur Selbsthilfe in der Partnergemeinde?</b>

Humburg: Ja, es gibt weitere Beispiele hier im Kreis. Im Rahmen der Landesgartenschau hatten zum Beispiel Hospitanten das Gärtnern und verschiedene Bewässerungstechniken kennengelernt. Ein Krankenpfleger war zu Gast in einer ärztlichen Praxis, um zusätzliche Kenntnisse zu erwerben. Die gewonnenen Kenntnisse setzen sie in ihren Heimatdörfern um.

<b>Wie sieht es mit der Schulausbildung und der medizinischen Versorgung aus?</b>

Humburg: Es gibt eine allgemeine Schulpflicht für die Grundschuljahre, für die weitere Schulausbildung muss Schulgeld bezahlt werden, das die wenigsten aufbringen können. Analphabetismus ist daher kein großes Problem, es wird auch Englisch als Amtssprache unterrichtet. Wir freuen uns über jeden Paten, der für wenige Dollar das Schulgeld und Schulessen übernimmt. In den Dörfern gibt es eine ambulante medizinische Versorgung. In den Städten gibt es Krankenhäuser, wohin man über Geröll- und Sandpisten erst einmal kommen muss, um sich dort behandeln lassen zu können. Die medizinische Grundversorgung erfolgt durch Krankenpfleger oder Krankenschwestern. Ärzte sind nur einmal im Monat und dann
auch nur kurze Zeit vor Ort.

<b>Wenn Schüler eine Ausbildung abgeschlossen haben, können sie erlerntes Wissen in der Region Binga umsetzen und davon existieren, zum Beispiel als Handwerker?</b>

Humburg: Es ist schwer, in der Region Binga zum Beispiel als Handwerker seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vereinzelt existieren Tischlereien, die Türen, Fenster in guter handwerklicher Qualität herstellen. Es gibt noch saisonale Jobs in einem Touristenhotel am Karibasee. Sonst bleibt nur der Anbau von Mais, aus dem Maismehl als das Grundnahrungsmittel erzeugt wird, das zum Überleben reicht. Bei dürrebedingtem Ernteausfall ist ein Überleben ohne auswärtige Hilfe äußerst schwierig.

<b>Behindern die Grenz- und Zollkontrollen bei der Einreise die Einfuhr von Hilfsmitteln?</b>

Humburg: Bei der Einreise können unerwartete Schwierigkeiten mit den Grenzbeamten auftreten. Einmal hatten wir drei Koffer mit Brillen dabei, die wir verteilen wollten. Eine Näherin kann Nadel und Zwirn nicht mehr scharf sehen, ein Dorflehrer seine Bücher nicht mehr vorlesen, beiden ist mit einer passenden Brille geholfen. Das ist einfache Hilfe zur Selbsthilfe. Nach Entrichtung einer Zollgebühr war die Einreise unproblematisch.

<b>Was und wo kann man vor Ort für US-Dollar überhaupt kaufen?</b>

Humburg: In den größeren Städten kann man auch in Supermärkten einkaufen, sowie einfache Dinge, wie bei uns früher im „Tante Emma Laden“. Das Angebot ist bescheiden und für die meisten Dorfbewohner zu teuer. Erstaunlicherweise sind Prepaid-Karten für Handys fast überall zu erhalten. Es gibt ein einigermaßen funktionierendes Funknetz.

<b>Was wird als Ware hergestellt und gibt es überhaupt Märkte, wo ein Austausch stattfinden kann?</b>

Humburg: Märkte in den Dörfern gibt es im eigentlichen Sinne nicht, weil es kaum was zu tauschen gibt. Die Savannenböden der Region Binga sind sandig und trocken, Wasser aus Brunnen versickert, ständig ist die Region von Dürre und Ernteausfall bedroht.

<b>Könnte eine Bewässerung vom Kariba-Stausee helfen oder ist das nicht sinnvoll, weil das Wasser sprichwörtlich im Sand versickert?</b>

Humburg: Der Bau von Bewässerungsanlagen vom Karibasee in die Region wäre absolut wichtig. Angeblich sei eine Wasserpipeline geplant und im Bau. Genaue Informationen über den Stand des Vorhabens habe ich nicht. Das werden wir bei unserem Besuch 2016 erfahren.
Es gibt kein simbabwisches Nationalgefühl oder einen fürsorglichen Staat, der den Ärmsten helfen würde. Das vorherrschende Volk der Shona, dem der umstrittene Präsident Robert Mugabe angehört, kümmert sich nicht um das Überleben kleinerer Völker, etwa nach dem provokanten Motto: Jeder überlebt für sich allein.

<b>Teilen Sie diese Einschätzung?</b>

Humburg: Eine schwierige Frage. Nach der Machtübernahme durch Mugabe 1980 hat er viele Projekte für die gesamte Bevölkerung umgesetzt, wie die Landverteilung an Besitzlose. Er wurde dafür geachtet und geschätzt. Leider geht es Mugabe seit den 1990er-Jahren nur noch darum, seine Macht zu sichern.
Ob oder warum die Beziehung zwischen den einzelnen Völkern, den Shona, den Ndebele und den Tonga konfliktbehaftet ist, kann ich nicht sagen. Über Politik wird einfach nicht gesprochen. Die nahen Viktoriafälle sind touristisch umkämpft, die Tonga haben keinen Zugriff. Sie verdienen deshalb kaum am Verkauf folkloristischer Souvenirs an Touristen. Die Tonga versuchen, ihr Kunsthandwerk wie Körbe über Eine-Welt-Läden in Deutschland zu verkaufen.

<b>Hilft dieses Engagement beziehungsweise Geschäftsmodell?</b>

Humburg: Die Viktoriafälle sind für die Tonga zu weit entfernt, um dort an Touristen etwas verkaufen zu können. So bleiben die Touristen, die an Reisesafaris teilnehmen, um ihnen eigenes Kunsthandwerk anzubieten. Der Verkauf größerer Mengen an kunsthandwerklichen Produkten wie in Erste-Welt-Läden wie in der Lehnitzstraße oder in Berlin scheitert schlicht an den Transportkosten, die den möglichen Gewinn auffressen.

<b>Aufgrund des anhaltenden Zustroms an Flüchtlingen auch in Oberhavel droht eine Überforderung der Helfer und Hilfsorganisationen. Es besteht die Gefahr, Afrika zu vergessen und, dass Hilfeprojekte für die Tonga aus Geld- oder Kräftemangel nicht mehr fortgesetzt werden. Teilen Sie diese Befürchtung?</b>

Humburg: Das könnte ein Problem sein. Die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssituation im Kreis durch Helfer und Hilfsorganisationen, die sich oft über die eigenen Kräfte engagieren, stößt an Grenzen. Die Gefahr besteht, darüber die Notlage in Afrika zu vergessen.Der Simbabwekreis, in dem sich zehn bis zwölf Mitglieder der evangelischen Kirchenkreise seit 19 Jahren engagieren, wird seine Hilfeprojekte jedoch ohne Einschränkung fortsetzen.

<b>Einige Entwicklungshelfer sind skeptisch, was den nachhaltigen Erfolg ihrer Bemühungen anbelangt. Skeptiker sagen, Entwicklungshilfe ist immer politisch und führt in den betroffenen Ländern zu Widersprüchen, die nicht auflösbar sind. Teilen Sie diese Skepsis?</b>

Humburg: Ich kann nachvollziehen, dass viele Entwicklungshelfer der verschiedensten Organisationen, die viele Jahre vor Ort tätig waren oder es noch sind, frustriert sind. Viele Projekte scheitern, weil sie aus unterschiedlichsten Gründen nicht fortgeführt werden. Dennoch darf man aus humanitären Gründen die Hilfe nicht aufgeben und die Menschen ihrem elenden Schicksal überlassen.

Interview: Rolf Kaiser

<b>Das Schicksal der Tonga</b>

Binga ist eine Region in Simbabwe, in der das Volk der Tonga zu Hause ist.

Im Jahr 1959 war unter der Kolonialherrschaft der Engländer der Kariba-Staudamm fertiggestellt worden. Er dient der Stromgewinnung für den Kupferbergbau in Sambia und der allgemeinen Stromversorgung in Simbabwe.

Mit dem Aufstauen des Sambesi entstand einer der größten Stauseen der Welt. Die am südlichen Sambesi-Ufer lebenden Tonga wurden in eine wenig fruchtbare Savanne zwangsumgesiedelt.

In ihrer alten, angestammten Heimat hatten sie jahrhundertelang als Flussfischer und Bauern ihr Auskommen.
erstellt von Mathias Wolf am 08.02.2016, zuletzt bearbeitet am 04.10.2022
veröffentlicht unter: Arbeitsgruppe für Partnerschaften